5 Bücher für den Sommerurlaub
Dolce Vita in England, Beziehungsdrama auf See, eine raue Nordseeinsel, ein tolles Sachbuch über den Strand und eins über das Randmeer
Buchtipps auf einen Blick





Offene See von Benjamin Myers: Herzensbuch - Über das Meer, das Leben und die Kraft der Poesie
Zur See von Dörte Hansen: Ein faszinierender Roman über das raue und sich verändernde Leben auf einer fiktiven Nordseeinsel
In blaukalter Tiefe von Kristina Hauff: Spannende Unterhaltungsliteratur für Skandinavien-Fans und Paare, die beim Segeln immer wieder aneinandergeraten
Strand von Hella Kemper und Karsten Reise: Ein tolles Sachbuch über den besonderen Ort zwischen den Welten: den Strand
Randmeer von Olaf Kanter: Ein tolles Sachbuch über die Nordsee mit hochwertigen Fotografien, Karten und farbigen Abbildungen
Buchtipps im Detail besprochen
1. Herzensbuch - Über das Meer, das Leben und die Kraft der Poesie
Benjamin Myers Offene See handelt vom 16-Jährigen Robert, der sich aus einem Bergarbeiterdorf im Norden Englands auf Wanderschaft Richtung Meer, zur Offenen See begibt. Es ist das Jahr 1946, kurz nach Kriegsende, Robert hat die Schule abgeschlossen und bevor er in die Fußstapfen seines Vaters, Großvaters und der Männer davor tritt und im Bergbau anfängt, verbringt er einen Sommer in der Ferne. Eine Art Work & Travel in der Nachkriegszeit - er verdient sein Essen auf Bauernhöfen und nächtigt auf den dortigen Wiesen.
Kurz bevor Robert das Meer erreicht, trifft er auf ein leicht heruntergekommenes Cottage und lernt die ältere Frau Dulcie und ihren Schäferhund Butler kennen. Aus einem Nachmittagstee wird ein ganzer Sommer, und die Begegnung mit der unkonventionellen Dulcie wird für Robert zum lebensverändernden Ereignis. Dulcie öffnet dem Jungen Türen zu unbekannten Welten, führt ihn ein in Literatur, Lyrik, Essen und Trinken und in ein Leben fernab von gängigen Konventionen. Aber trotz ausgelassener Momente mit Hummer und Weißwein, schwingt etwas Melancholisches mit, etwas Ungesagtes, das Dulcie als “Zerwürfnis” mit dem Meer benennt. Und so viel sei verraten: Es hat mit einem Manuskript unveröffentlichter Gedichte zu tun (Titel “Offene See”), das Robert in der verlassenen Hütte auf Dulcies Grundstück findet.
Offene See ist 2020 auf Deutsch im Dumont Verlag erschienen, übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Und im gleichen Jahr wurde der Roman zum Lieblingsbuch des Unabhängigen Buchhandels gewählt.
Auch wenn ich hier “late to the party” bin, für dieses Buch ist es nie zu spät und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich es gelesen habe. Denn für mich ist Offene See zum Herzensbuch geworden - auch wegen der poetischen Sprache. Ich habe beim Lesen gelacht, geweint und wieder gelacht. Manchmal war ich emotional so ergriffen, dass ich es zur Seite legen musste.
Was das Buch so besonders macht, ist die Figur der Dulcie, die wunderbar gezeichnet ist. Sie ist klug, schlagfertig, witzig und versteht es, das Leben trotz ihrer Wunden zu feiern. Ihre Weisheiten kommen nicht plump daher. Ganz im Gegenteil ist sie die Personifizierung des weisen Satzes: “Du musst dein Leben haargenau so leben, wie du es willst, nicht für irgendjemand anderen.”
Wegen dieser Botschaft würde ich das Buch am liebsten allen jungen Menschen schenken (den Anfang habe ich bei meiner Nichte gemacht ;-).
2. Ein faszinierender Roman über das raue und sich verändernde Leben auf einer fiktiven Nordseeinsel
Gelesen habe ich Zur See von Dörte Hansen auf der Insel Hiddensee. Auch wenn es eine Ostseeinsel ist, hatte ich doch das Gefühl mich sehr gut ins Buch, das auf einer fiktiven Nordseeinsel spielt, reinversetzen zu können. Und zwar in die Perspektive der Inselbewohner. Während ich von mir selbst die Sehnsucht nach der Insel kenne, zeigt Dörte Hansen die Kehrseite der Medaille:
“Man muss, wenn man auf einer Insel leben will, die Tagesränder suchen. Die Dämmerzeiten zwischen Tag und Nacht, die frühen Nebelmorgen und die späten Regennachmittage. Man muss am Strand, beim Bäcker und im Supermarkt gewesen sein, bevor die erste Fähre mit den Bustouristen und den Fahrradfahrern kommt. Und man muss warten, bis die Abendfähre weg ist, wenn man allein auf einem Inselfriedhof stehen will.”
Mit diesem Blick bin ich einem alten Insulaner auf Kloster (Hiddensee) begegnet und habe ihn vorsichtig gefragt, ob er froh ist, wenn die Touristen abfahren und es endlich Winter wird. Der alte Mann lächelte sanft und sagte: “Am Ende des Sommers hat man genug, dann freut man sich auf die einsamen November- und Januartage. Aber ab Februar/März freut man sich schon wieder. Wir leben davon”, sagte er und es gebe auch immer Orte, wo er ganzjährig allein sein könne. Nach diesen Worten habe ich mich besser gefühlt😉
Aber zurück zu Dörte Hansens Roman: Im Zentrum ihrer Erzählung steht die Geschichte der Familie Sander, die Dörte Hansen tiefgründig erzählt. Wir lernen die Mutter Hanne Sander kennen, die früher Touristen bewirtet hat und jetzt im Heimatmuseum arbeitet, den Vater Jens, der kein Seefahrer mehr ist, sondern Vogelwart. Außerdem den ältesten Sohn Ryckmer und seine Angst vor der großen Welle. Die Tochter Eske arbeitet im Seniorenheim, der jüngste Sohn sammelt Treibgut und wird als Künstler gefeiert.
🐋 Die Zeit, in der die Insel vom Walfang gelebt hat, ist vorbei. Das wird auch in der Mitte des Buches deutlich als ein Pottwal strandet und niemand weiß wie mit ihm umzugehen ist. Genau hier findet auch der Wendepunkt des Romans statt. Und davon will ich nicht allzu viel verraten.
Soviel sei gesagt: das Buch lohnt sich zu lesen. Ich finde es ist ein ganz einmaliger Roman von Dörte Hansen mit einem besonderen Ton, einer ganz eigenen Atmosphäre. Vielleicht mit einem Sprach-Rhythmus von Ebbe und Flut. Und ich weiß, ich muss es wieder lesen und dieses Mal Sätze markieren und notieren. Als Autorin bin ich sehr fasziniert davon, dass es so gut wie keine Dialoge gibt.
Es war übrigens mein erster Dörte Hansen Roman. Weitere werden folgen, da bin ich mir ganz sicher.
3. Spannende Unterhaltungsliteratur für Skandinavien-Fans und Paare, die beim Segeln immer wieder aneinandergeraten
In blaukalter Tiefe heißt dieser Roman von Bestsellerautorin Kristina Hauff, der im Februar 2023 bei hanserblau erschienen ist.
Zwei Paare und ein Skipper stechen in See mit Kurs auf die schwedischen Schären.
Der von Andreas initiierte Segeltörn soll frischen Wind in die Beziehung zu seiner Frau Caroline bringen. Gleichzeitig holt der Anwalt und Partner einer erfolgreichen Kanzlei seinen Mitarbeiter Daniel und dessen Freundin Tanja mit an Bord.
Was mit auf Hochglanz polierten Fassaden und Champagner beginnt, gerät auf dem engen Raum der Segelyacht schnell ins Wanken. Die Beziehungskonflikte brodeln unter Deck und je rauer und gefährlicher die See wird, desto unausweichlicher ist die Katastrophe.
Kristina Hauff gelingt durch einen geschickten Kniff zu Beginn, die Spannung bis zuletzt aufrechtzuerhalten. Denn das Buch beginnt mit dem Ende der Geschichte: Caroline befindet sich sechs Wochen nach dem Törn in der Bretagne und macht eine unglaubliche Entdeckung: “(…) sie sah den Mann im Profil, bewegungslos wie eine Statue stand er am Ruder und steuerte das Boot aus der Bucht. Caroline umklammerte den Einkaufskorb auf ihrem Schoß. (…) Er konnte es nicht gewesen sein. Weil er tot war.”
Damit ist klar, dass der Segeltörn auf eine Katastrophe zusteuert. Und doch kommt es am Ende anders als gedacht.
Durch die lebendige Erzählweise mit vielen Dialogen, Beschreibungen des Boots und Segelns sowie der Umgebung fühlt man sich mitten auf dem Schiff. Und doch ist man froh, nicht Teil der Crew mit ihren Ego-Kämpfen und Erste-Welt-Problemen zu sein.
Kristina Hauff reiht die Erzählperspektiven von Caroline, Andreas, Tanja und Daniel geschickt aneinander und konstruiert damit eine wohl durchdachte Geschichte. Den Skipper Eric lässt sie dabei mysteriös erscheinen, indem seine Perspektive unbekannt bleibt.
In blaukalter Tiefe zieht einen direkt in die Handlung rein und lässt einen erst nach den 282 Seiten des Buches wieder auftauchen.
Ein Buch für alle, die gute Unterhaltungsliteratur wollen, für Skandinavien-Fans und Paare, die beim Segeln immer wieder aneinandergeraten.
Segel-Neulinge und Interessierte sollten sich das Nachwort von Kristina Hauff zu Herzen nehmen: “Segeln ist die schönste Fortbewegungsart der Welt, lassen Sie sich bitte von den Romanfiguren nichts anderes einreden. (…) Achten Sie darauf, wen Sie mit an Bord nehmen. Und nennen Sie Ihr Boot niemals Querelle.”
4. Ein tolles Sachbuch über den besonderen Ort zwischen den Welten: den Strand
Wer kennt sie nicht, die Sehnsucht nach Strand und Meer, die uns immer wieder an die Küsten dieser Erde zieht. So auch die Journalistin Hella Kemper und den Küstenforscher Karsten Reise. Zusammen teilen sie innerhalb der European Essays on Nature and Landscape Reihe Strand ihr Wissen und ihre Erfahrungen rund um diesen besonderen Ort zwischen Meer und Festland.
Den Einstieg finden die beiden über unsere Sehnsucht nach dem Strand, die Maler wie Max Beckmann und Peder Severin Krøyer auf die Leinwand gebracht haben. Von da aus geht es schnell um tieferes Wissen: Woraus bestehen Strände? Wie kommt der Sand an den Strand? Und wer wohnt alles im und auf dem Sand? So berichtet Karsten Reise von den Ergebnissen aus 20 Jahren Forschung am Lister Strand auf Sylt, bei der in einem nur 50 Meter breiten Strandabschnitt 652 Arten zwischen Hoch- und Niedrigwasserlinie gefunden werden konnten. Dabei handelt es sich um winzige Strandlückenbewohner wie Bärtierchen, Rädertierchen und stark verzwergte Krebstiere.
Die beiden nehmen aber auch die für uns “greifbaren" Strandbewohner wie Möwen und Muscheln unter die Lupe. Letztere werden so wunderbar poetisch als “Briefe vom Meeresgrund an den benachbarten Strand” bezeichnet.
Nicht zuletzt beschäftigen sich Hella Kemper und Karsten Reise mit der Frage, was in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten passiert, wenn der Meeresspiegel in Folge der Klimaerwärmung steigt und Druck auf flache Küsten macht.
Nach der Lektüre bin ich nicht nur reicher an Wissen was die Strand- und Sandlückenbewohner angeht, das Buch hat mich auch sensibler im Umgang mit den Stränden gemacht.
Ein Buch für alle Strandliebhaber, die mehr wissen wollen und sich insbesondere für die im Fokus stehenden Strände von Nord- und Ostsee und der Elbe, sowie von Südschweden, Norddänemark, vom Øresund, von Nordnorwegen und Polen interessieren. Keine Angst vor zu viel Wissenschaft. Hella Kemper und Karsten Reise schreiben für den Laien verständlich und veranschaulichen die Inhalte mit Bildern.
5. Ein tolles Sachbuch über die Nordsee mit hochwertigen Fotografien, Karten und farbigen Abbildungen
Im Essayband Randmeer beschäftigt sich der hauptberufliche Nachrichtenjournalist Olaf Kanter mit der Nordsee, dem flachen Randmeer des Atlantischen Ozeans, entstanden vor 150 Millionen Jahren.
Als Segler teilt er die Vorstellung von Millionen Touristen, von der weiten, offenen See, muss jedoch einräumen, dass die Realität eine andere ist. Statt schöner wilder Wasserwelt herrscht dichter Schiffsverkehr. Olaf Kanter spricht von 420.000 Schiffsbewegungen in der Nordsee im Jahr, 120.000 allein in der Deutschen Bucht. Zudem wächst der Industriepark Nordsee mit Bohrinseln und Windparks (inklusive Altlasten), und nicht zu vergessen Fischerei und Marine, die ebenso ihren Raum beanspruchen.
Wenn man sich das Kartenmaterial im Buch ansieht, glaubt man der Professorin Carola Hein von der TU Delft sofort, die über die Nordsee sagt: “Es gibt kaum ein Meer, das so voll ist.”
Olaf Kanter zeigt die unterschiedlichen Nutzungsräume und -interessen, samt Meeresschutz, auf und belebt seinen Essay mit Berichten von eigenen Segeltörns sowie vergangenen Reportagen, bei denen er zum Beispiel die Pollution Control bei ihrer Arbeit in den Gewässern der Shetlands begleitet hat.
Randmeer enthält geballtes Wissen über die Nordsee sowie ihren “merkwürdigen Solitär” Helgoland mit seiner bewegten Geschichte. Neben interessanten Fakten nehme ich vor allem die Überlegung mit, in welchen Raum der Nordsee der Mensch eigentlich nicht eingreift und wo die Landschaft Wildnis sein darf.
Wie die anderen Ausgaben der Reihe European Essays on Nature and Landscape des KJM Verlags ist auch Randmeer ein hochwertiges Buch mit Lesebändchen, Farbfotos und Federzeichnungen.
Eure Meinung zu den Büchern
Habt ihr schon eines der vorgestellten Bücher gelesen oder jetzt Lust darauf bekommen? Schreibt mir eure Meinung! Und schreibt mir gerne auch, welches Sommerbuch ihr für den Urlaub am Meer empfehlt.
Ich freue mich von euch zu hören.
Ahoi,